Ehe- und Familienrecht
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Ehe- und Familienrecht

  • Eheverträge
  • finanzielle Regelungen während der Trennungszeit
  • Scheidungsverfahren auch mit internationalem Bezug
  • Scheidungsfolgevereinbarungen
  • Auseinandersetzung des gemeinschaftlichen Vermögens
  • Rückforderung von elterlichen Schenkungen
  • Zugewinnausgleich
  • Gütertrennung
  • Gütergemeinschaft
  • Unterhalt für Kinder, Ehe- oder Lebenspartner
  • Umgangsrecht
  • Sorgerecht

Bewertung von freiberuflichen Praxen bei der Scheidung

Bundesgerichtshof, Urteile vom 2. und 9. Februar 2011

von Rechtsanwältin Dr. Manuela Jorzik
Fachanwältin für Familien- und Erbrecht
Zertifizierte Unternehmensnachfolgeberaterin (zentUma e.V.)

I. Ausgangslage

Ist ein Ehegatte als Freiberufler (also z.B. Arzt, Rechtsanwalt, Steuerberater) selbständig tätig, so stellt sich bei einer Scheidung im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft  die Frage, ob überhaupt ein Praxiswert und wenn ja –
in welcher Höhe und nach welcher Methode - bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs einzustellen ist. Ferner ist zu beurteilen, ob Steuern, die im Veräußerungsfalle anfallen würden, abgezogen werden dürfen, auch wenn nicht verkauft
werden soll.
In zwei Entscheidungen aus 2011 hat sich der Bundesgerichtshof mit den Fragestellungen, die von den Gerichten unterschiedlich beurteilt worden sind, ausführlich beschäftigt.
In der Entscheidung vom 2. Februar 2011 war ein Ehegatte Inhaber einer Steuerberaterpraxis und in der Entscheidung vom 9. Februar 2011 betrieb ein Arzt mit einem Partner eine Gemeinschaftspraxis.
In beiden Fällen ist ein Sachverständiger mit der Bewertung der Praxen beauftragt worden. Dieser hat die Werte nach dem Umsatzwertverfahren (durchschnittlicher Umsatz der letzten 3 Jahre vor Scheidung multipliziert mit einem Umsatzmultiplikator ohne Abzug von Betriebsausgaben und Unternehmerlohn) und nach der sogenannten modifizierten Ertragswertmethode (durchschnittlicher Umsatz der letzten 3 Jahre vor Scheidung abzüglich Betriebsausgaben abzüglich Unternehmerlohn abzüglich latenter Steuern multipliziert mit Barwertfaktor) ermittelt. In beiden Fällen waren die Werte nach der modifizierten Ertragswertmethode erheblich niedriger.

II. Entscheidungen des BGH

1. Im Zugewinnausgleichsverfahren ist grundsätzlich auch der Vermögenswert einer freiberuflichen Praxis zu berücksichtigen. Dieser setzt sich zusammen aus dem Sach- oder Substanzwert und dem darüber hinausgehenden Goodwill (immaterieller Vermögenswert). Der neben dem Substanzwert vorhandene Goodwill gründet sich auf immaterielle Faktoren wie Standort, Art und Zusammensetzung der Mandanten/Patienten, Konkurrenzsituation und ähnliche Faktoren. Er hat in der Regel einen eigenen Marktwert. Mit dem Goodwill bezahlt der Käufer die Chance, die Mandanten/Patienten des bisherigen Inhabers zu übernehmen und auf dem vorhandenen Bestand und der gegebenen Konkurrenzsituation aufbauen zu können.

2. Der Goodwill ist nach der modifizierten Ertragswertmethode zu ermitteln. Eine Bemessung des Wertes allein nach dem Umsatz verbietet sich schon deswegen, weil der Umsatz keine sicheren Rückschlüsse auf die Gewinnerwartung und somit auch nicht auf den am Stichtag (beim Zugewinn: Zustellung des Scheidungsantrags) realisierbaren Wert zulässt.

3. Bei der Bemessung eines solchen Goodwills ist ein Unternehmerlohn abzusetzen, der sich an den individuellen Verhältnissen des Inhabers orientiert. Der Unternehmerlohn hat insbesondere der beruflichen Erfahrung und der unternehmerischen Verantwortung Rechnung zu tragen sowie die Kosten einer angemessenen sozialen Absicherung zu berücksichtigen.

4. Von dem ermittelten Wert sind unabhängig davon, ob eine Veräußerung tatsächlich beabsichtigt ist, latente Ertragssteuern in Abzug zu bringen, Diese sind nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen zu bemessen, die zum Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags vorlagen.

III. Fazit

Die vorliegenden Entscheidungen stellen eine Neuorientierung der Bewertungsgrundsätze dar. Der Bundesgerichtshof hat der bisher jahreslang angewandten Umsatzwertmethode eine klare Absage erteilt. Die modifizierte Ertragswertmethode ist in Zukunft ausschließlich zur Bewertung von freiberuflichen Praxen heranzuziehen.
Der kalkulatorische Unternehmerlohn wird individuell ermittelt. Dieser ist nicht gleichzusetzen mit dem Gewinn oder mit den Privatentnahmen. Auszugehen ist von einem Gehalt für nicht selbständige Tätigkeit. Zu berücksichtigen ist dann die unternehmerische Verantwortung durch einen Zuschlag. Darüber hinaus ist im Einzelfall vorliegenden Besonderheiten (Leistungsbereitschaft, zeitlicher Arbeitseinsatz, Spezialkenntnisse) Rechnung zu tragen. Danach sind Kosten für angemessene soziale Absicherung, dazu gehören Kranken- und Pflegeversicherung sowie Altersversorgung, und zwar ohne Beschränkung auf die Bruttobemessungsgrundlage in Abzug zu bringen. Der individuelle Unternehmerlohn wird zukünftig die Position in der Bewertung sein, die Spielraum für unterschiedliche Ergebnisse liefern wird, was durch eine entsprechende substantiierte Argumentation des Rechtsanwalts beeinflusst werden kann.
Die aktuellen Entscheidungen liefern handfeste Kriterien der Bewertung einer freiberuflichen Praxis und klären die bis dahin noch offenen Rechtsfragen der Unternehmensbewertung im Zugewinnausgleichsverfahren.
Der Bundesgerichtshof hat in diesen Entscheidungen einen über die Bewertung von freiberuflichen Praxen hinausgehende Thematik angesprochen, die zukünftig bei der Zugewinnausgleichsberechnung zu beachten ist. Obwohl dies für die hier zu entscheidenden Rechtsfragen nicht entscheidungserheblich war, hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass aus Gründen der Gleichbehandlung auch bei anderen Vermögensgegenständen (z.B. Grundstücken, Lebensversicherungen oder Wertpapieren) latente Steuern – unabhängig von einer Veräußerungsabsicht – abzuziehen sind. 

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